Wege der deutschen Jakobus-Pilger

Würde man alle Pilger des späten Mittelalters, von denen eine Fahrt nach Santiago de Compostela in irgendeiner Form belegt ist, mit einem Punkt in eine Karte eintragen, so blieben nur wenige Stellen weiß. Wie viele Punkte jedoch eine solche Karte aufzuweisen hätte, lässt sich beim heutigen Stand der Forschung noch nicht sicher sagen. Unsere Kenntnisse reichen jedoch aus, um eine stetige Zunahme der Pilger seit dem 13. Jahrhundert festzustellen. Diese kamen aus fast allen Gebieten Deutschlands, auch aus Landschaften, die vor dieser Zeit noch nicht als Herkunftsregionen von Jakobspilgern belegt waren. Pilger aus Österreich oder aus dem Ostseeraum sind keinesfalls selten. Trotzdem bleiben es auch in dieser Zeit vornehmlich Angehörige des Adels oder der Führungsschichten der Städte, über deren Pilgerfahrten wir etwas ausführlicher unterrichtet werden. Weniger prominente Pilger werden oft nicht namentlich erwähnt. Aus verschiedenen Quellen wissen wir auch von namentlich nicht genannten, jedoch als „deutsch“ und als „arm“ bezeichneten Pilgern, denen als Almosen oftmals ein neues Paar Schuhe geschenkt wurde.

 

Gerade für das später Mittelalter ist der norddeutsche Raum zu beachten, denn von dort brachen im Spätmittelalter immer mehr Pilger nach Santiago de Compostela auf. Dabei sind geschäftlich-wirtschaftliche Motive in vielen Fällen nicht leicht von religiöser Heilssuche zu trennen. Von den Hansestädten erreichte man Santiago de Compostela zumeist auf dem Seeweg. Wahrscheinlich stach von Hamburg jährlich ein Schiff mit Santiagopilgern in See. Die Quellen verzeichnen allerdings nur außergewöhnliche Vorkommnisse wie die Verluste von Schiffen. So wird zum Jahre 1506 berichtet, ein Schiff mit 200 Pilgern sei durch einen Sturm untergegangen. Über eine Schiffsreise aus Strahlsund erfahren wir, ein Pilger sei von zweien seiner Mitpilger erstochen worden – Zustände, die einer Pilgerfahrt nicht gerade angemessen waren! Daneben gibt es jedoch auch Nachrichten, zum Beispiel von Pommern, die sogar von dort den gesamten Weg zu Fuß zurücklegten.

 

Besonders häufig sind Pilgerreisen aus Norddeutschland in Testamenten angesprochen; das ergiebige Lübecker Material wertete Norbert Ohler aus. Zahlreiche Lübecker Bürger setzten in ihren Testamenten eine bestimmte Summe fest, die zu einer Pilgerfahrt verwendet werden sollte. Manch einer glaubte wohl, so kurz vor seinem Tod mit dem Testament das wettmachen zu können, was er selbst während seines Lebens versäumt hatte. Johannes Hilge verfügte zum Beispiel im Jahre 1413, mit 100 lübischen Mark je einen Pilger nach Santiago de Compostela und nach Jerusalem zu entsenden. Die Lübecker Testamente erbringen eine Fülle von Belegen für Pilgerfahrten, wobei offenbleiben muß, ob jeder Wunsch eines Testaments auch wirklich ausgeführt wurde. Neben anderen Zielorten, die bezeichnenderweise auch den Hauptrichtungen des lübischen Handels entsprachen, nahm Santiago in jedem Fall einen durchaus respektablen Platz ein.

 

[… ]

 

Welche Möglichkeiten hatten die deutschen Pilger, nach Santiago de Compostela zu gelangen? Es wäre verfehlt, anhand des bloßen Vorhandenseins von Bruderschaften, Patrozinien und Pilgerherbergen auf eine einheitliche Wegestruktur zu schließen. Die Pilger benutzten die gleichen Wege und die gleichen Versorgungsstrukturen wie alle Reisenden oder Reisegruppen der jeweiligen Zeit. Heeres- und Geleitstraßen, Handelswege, Fluß- und Bergübergänge, die gleich Nadelöhren den Verkehr einengten und kanalisierten, boten mit ihrer Infrastruktur die Voraussetzungen für einen größtenteils gesicherten Ablauf der Reise. So gab es zum Beispiel auf dem Gebiet des alten Römisch-Deutschen Reichs in der Gesamtschau drei wahrscheinlich wichtige Orte bzw. Gebiete für die Pilger nach Santiago de Compostela. Einmal im Norden die großen Hansestädte an den Küsten der Ostsee (Lübeck, Stralsund, Danzig, Riga, Reval), wohin vielfach sogar Pilger aus dem Osten und aus Skandinavien kamen, der Nordsee (besonders Hamburg und Bremen) oder auch des Niederrheins (wie Köln, Neuss und Duisburg). Von dort aus wurden besonders in den Heiligen Jahren größere Transporte zu Schiff zusammengestellt, die die südwest-französischen Häfen wie La Rochelle, Bordeaux und Mimzan anliefen oder direkt nach Spanien segelten. Dort spielte neben Viveiro und Muros der Hafen von La Coruña, wo auch die Mehrheit der britische Pilger anlandete, die herausragende Rolle. Das zweite Gebiet betrifft Köln und Aachen, wo Künig von Vach seine „Niederstraße“ beginnen läßt. Besonders die alte Kaiserstadt Aachen verfügte über zahlreiche Pilgereinrichtungen, die in Verbindung mit der Heiltumsfahrt entstanden sind. Die Gesamtsicht Aachen (von G. Braun und F. Hogenberg, 1576) zeigt ein „S. Iacob poort“ (Osttor in Richtung Köln), in dessen Nähe die St. Jakobuskirche mit ihrer bedeutenden Reliquie liegt. Von Aachen aus ging es weiter über Paris zum Martinsgrab nach Tours und über weitere Städte mit bedeutenden Heiligengräbern (wie Poitiers mit dem hl. Hilarius, St-Jean d’Angély mit dem Haupt des hl. Johannes, Saintes mit dem hl. Bischof und Märtyrer Eutropius, Bordeaux mit dem hl. Severinus, etc.) über die Pyrenäen, um den Anschluß an das spanische Wegenetz zu finden. Der dritte Punkt liegt an den Ausgangsorten der schon mehrfach erwähnten „Oberstraße“ in Konstanz bzw. Einsiedeln.

 

Auch andere Städte hatten ihre Jakobuspforte, wie Soest und Heidelberg. Der Jakobuskult und die mit ihm verbundene Pilgerbewegung haben in ihrer Blütezeit in Deutschland ganze Städtebilder geprägt, wie es in dem an der „via regia“ liegenden Naumburg der Fall ist. Noch heute ist die mittelalterliche Stadtsituation im Bereich der ersten Kaufmannssiedlung mit der Jakobuskirche nachvollziehbar, mit Namen wie Jakobsviertel, Jakobsgasse, Jakobsmauer und Große Jakobsstraße, die zum im 19. Jahrhundert abgetragenen Jakobstor mit der Jakobsbrücke in Richtung Leipzig führte.

 

[…]

 

In Deutschland selbst waren es die historischen Überlandwege und –straßen, die die Pilger auch aus Skandinavien und Osteuropa von Polen bis Ungarn hauptsächlich mitbenutzten. Namen wie die „via regia“, die sowohl über  Görlitz, Dresden und Hof nach Nürnberg führte, wo der Pilger seinen Weg zum Bodensee, zur „Oberstraße“ des Hermann Künig von Vach nehmen konnte, als auch über Bautzen, Erfurt und Fulda nach Köln abzweigte, wo der alte Königsweg nach Aachen weiterführte; Namen wie Hell- und Heerweg oder Eselsweg geben eine Vorstellung von dem Verlauf der Altstraßen, die heute teils verschwunden oder asphaltiert worden sind. Vom Norden her führten sowohl für den Pilger nach Rom als auch für den Santiagogänger geschützte und mit einer dichten Infrastruktur versehene Wege nach Süden und nach Westen über die zentralen Orte Hamburg, Bremen, Osnabrück, Münster, Köln, Aachen und Mainz, […].

 

 

 

Herbers, Klaus, Plötz, Robert, Jakobus in Deutschland, Editions du Signe, Strasbourg, 2000, S. 16-17, 21, 22.

 

Sprachen und Sprachpolitik entlang des Jakobsweges, Romanisches Seminar der CAU zu Kiel: 28.05.2013
Sprachen und Sprachpolitik entlang des Jakobsweges, Romanisches Seminar der CAU zu Kiel: 28.05.2013
EUROPA AUF DEN JAKOBSWEGEN            KIEL, LANDESHAUS: 22. 11. – 19. 12. 2011 | CENTRE CULTUREL FRANÇAIS, KIEL: 24.01. - 24.02.2012
EUROPA AUF DEN JAKOBSWEGEN KIEL, LANDESHAUS: 22. 11. – 19. 12. 2011 | CENTRE CULTUREL FRANÇAIS, KIEL: 24.01. - 24.02.2012
Congress Santiago (21./22.10.2011)
Congress Santiago (21./22.10.2011)